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Anforderungen an Sozialklausel erhöht

Mieterbund nennt BGH-Entscheidungen zu Eigenbedarf und Härtegründen unbefriedigend

 

(dmb) „Die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zu Eigenbedarf und Härtegründen im Rahmen der so genannten Sozialklausel sind unbefriedigend. Die Karlsruher Richter haben die Anforderungen an die Geltendmachung von Härtegründen erhöht. Wenn Mieter sich aufgrund ihres hohen Alters und schlechten Gesundheitszustandes gegen die Kündigung wehren und auf die Sozialklausel berufen, muss jetzt regelmäßig ein Sachverständigengutachten eingeholt werden “, kommentierte der Bundesdirektor des Deutschen Mieterbundes (DMB), Lukas Siebenkotten, die heute verkündeten Urteile des Bundesgerichtshofs (VIII ZR 180/18 und VIII ZR 167/17). „Damit steigen die Chancen für Vermieter, eine Eigenbedarfskündigung durchzusetzen, deutlich.“

 

Die Sozialklausel soll nach dem Gesetz das gleichwertige Gegenstück zur Kündigungsbefugnis des Vermieters, zum Beispiel wegen Eigenbedarf, sein. Auch bei einer berechtigten Eigenbedarfskündigung kann sich der Mieter auf diese Sozialklausel berufen, wenn für ihn die Räumung der Wohnung eine unzumutbare Härte bedeuten würde. Wiegt das Mieterinteresse am Behalt der Wohnung schwerer als das Vermieterinteresse, die Wohnung selbst zu nutzen, muss das Mietverhältnis fortgesetzt werden. Typische Härtegründe sind, die Unmöglichkeit, eine angemessene Ersatzwohnung zu finden, lange Wohndauer, Verwurzelung in der Wohngegend und vor allem der schlechte Gesundheitszustand der Mieter.

Der Bundesgerichtshof entschied jetzt, dass allein das hohe Alter des Mieters oder eine bestimmte Mietdauer nicht ohne weiteres zur Anwendung der Sozialklausel führen und eine Härte im Sinne des Gesetzes bilden können. Beruft sich der Mieter auf schwerwiegende Erkrankungen und Gesundheitsgefahren, die mit einem evtl. Umzug verbunden wären, genügt auch das allein nicht, um eine Fortsetzung des Mietverhältnisses zu erreichen. In diesen Fällen muss von Amts wegen ein Sachverständigengutachten eingeholt werden, um zu klären, an welchen Erkrankungen der betroffene Mieter konkret leidet, wie sich diese auf seine psychische und physische Verfassung auswirken. Dabei ist auch zu klären, ob und inwieweit sich die mit einem Umzug einhergehenden Folgen mittels Unterstützung durch das Umfeld bzw. durch begleitende ärztliche und/oder therapeutische Behandlungen mindern lassen.

Für die beiden konkret entschiedenen Fälle bedeutet das:

 

BGH VIII ZR 180/18: Die vierköpfige Vermieterfamilie kaufte die 73 qm große Mieterwohnung und kündigte wegen Eigenbedarfs. Das Landgericht Berlin bestätigte zwar den Eigenbedarf, wies die Klage auf Räumung der Wohnung aber trotzdem ab. Die 80-jährige Mieterin, die mit ihren zwei Söhnen in der Wohnung lebt, konnte sich erfolgreich auf die Sozialklausel berufen. Ihre Härtegründe - hohes Alter, Demenzerkrankung, lange Wohndauer seit 1975 und Verwurzelung in der Wohngegend - schätzte das Landgericht schwerwiegender ein als das Interesse der Vermieterfamilie an einer größeren Wohnung.

er Bundesgerichtshof hob die Entscheidung des Landgerichts auf. Das Gericht habe fehlerhaft, weil schematisiert, entschieden und dem Vermieterinteresse ein geringeres Gewicht beigemessen, auch weil hier von „gekauftem Eigenbedarf“ ausgegangen worden sei. Hinsichtlich des Gesundheitszustandes der Mieterin müsse ein Sachverständigengutachten eingeholt werden. Das Landgericht muss neu entscheiden.

 

BGH VIII ZR 167/17: Die Vermieterin kündigte wegen Eigenbedarfs, weil sie und ihr Lebenspartner die bisher vermietete Doppelhaushälfte benötigte, um die in der Nähe wohnende pflegebedürfte Großmutter besser versorgen zu können. Das Landgericht Halle sah auch in diesem Fall den Eigenbedarf als gegeben an. Das Gericht verurteilte die Mieter zur Räumung, obwohl die zu pflegende Großmutter zwischenzeitlich verstorben war. Die Mieterin und ihre Familienangehörigen beriefen sich erfolglos auf die Sozialklausel. Aus den ärztlichen Attesten ergebe sich nicht zweifelsfrei, dass ein Umzug zu schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen oder einer Lebensgefahr führen würde.

Der Bundesgerichtshof hob die Entscheidung des Landgerichts auf. Das Gericht habe die durch Atteste belegten Härtegründe des Mieters bagatellisiert und versäumt, ein Sachverständigengutachten zu den Auswirkungen eines erzwungenen Umzugs auf den Gesundheitszustand des Mieters einzuholen. Das Landgericht muss neu entscheiden.

 

Lukas Siebenkotten: „Bisher galt der Grundsatz, dass bei der Abwägung zwischen den grundgesetzlich geschützten Gütern auf Vermieterseite - Eigentum und freie Lebensgestaltung - und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit des Mieters den Mieterinteressen Vorrang einzuräumen ist. Diesen Grundsatz hat der Bundesgerichtshof heute relativiert. Das ist alles andere als ein positives Signal für den Kündigungsschutz.“

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